Sicherheit - sicher nicht im ÖV
Wie fühlst du dich am Abend, nach einem Konzert, alleine auf der Heimfahrt in der S-Bahn und es steigen eine Gruppe auffälliger Jugendlicher in den Zug? Magst du es, am Billettautomaten angebettelt zu werden, während dem du deine Fahrkarte bezahlst? Was sagst du zu dem grossen Mann, der dir auf dem Bahnsteig schamlos seinen Zigarettenrauch ins Gesicht bläst? Wie begegnest du dem jungen Typen, der dich mit seinem Kickboard bei der Bahnsteigrampe über den Haufen fährt?
Was erwartest du von den Angestellten des ÖV?
Ich bin einer von denen. Der ÖV ist Beruf und Berufung für mich. Ich bin hilfsbereit und es freut mich, wenn ich Reisenden zu einem angenehmen Bahnerlebnis verhelfen kann. Meine Aufgaben sind zu 75 % klar definiert. Den Rest wird je nach Situation, von den Vorgesetzten bestimmt oder von der Kundschaft verlangt.
Was erwartest du von mir? Was soll ich deiner Meinung nach tun, um dir eine gute Reise im ÖV zu ermöglichen? Eine 100-prozentige Sicherheit ist nicht möglich. Das Sicherheitspersonal in den Bahnhöfen und in den Zügen tun ihr Bestes. Aber in gefühlten 99 % der Fälle sind sie nicht oder zu spät vor Ort. Wer aber da ist, sind (andere) ÖV Angestellte. Erwartest du von ihnen, dass sie die Jugendlichen zurechtweisen? Sollen sie dich vor dem Bettler schützen? Machst du sie für das Passivrauchen auf dem Bahnsteig verantwortlich?
Wer ist für deine Sicherheit zuständig?
Auf, wen verlässt du dich im Strassenverkehr, damit du sicher ans Ziel kommst? Rufst du bei einem Verkehrsdelikt das Strassenbauamt oder die Polizei? Wer ist zuständig bei einem Parkschaden? Die Firma, welche die Parkfelder aufgemalt hat oder das Ordnungsamt?
Ich verstehe dich sehr gut, wenn du dich bei einer Bedrohung im ÖV an den nächsten Menschen in Uniform wendest. Kannst du aber auch nachvollziehen, dass ich nicht mein eigenes Leben aufs Spiel setzen will, wenn ich den Störenfried (höchstens) ermahne, aber nicht körperlich eingreife?
Im ÖV sind die Aufgaben zur Mehrheit klar umrissen. Die Sicherheit der Reisenden wird vom Sicherheitspersonal verantwortet. Andere Personen haben keine polizeilichen Aufgaben und Kompetenzen. Wir sind nicht dazu ausgebildet. Die Kurse, welche wir besuchen, dienen in erster Linie zum Selbstschutz. Denn die ÖV Mitarbeitenden im direkten Kontakt mit der Kundschaft werden oft verbal und manchmal auch körperlich angegriffen.
Jetzt tue doch etwas
Bei meiner Arbeit treffe ich täglich unzählige Situationen an, in denen sich jemand egoistisch verhält oder Regeln bewusst missachtet. Er gefährdet dabei sich und sein Umfeld, und es ist oft pures Glück, dass nicht mehr Zwischenfälle passieren.
Eltern lassen Kinder unbeaufsichtigt auf dem Perron mit dem Kickboard ihre Runden drehen. Wenn ich sie auf die Gefährlichkeit hinweise, erhielt ich schon die Antwort: "Es hat einen Helm an und ich passe auf. Was mischen sie sich überhaupt in meine Kindererziehung ein?" Sagt die Mutter, ohne von ihrem Handy aufzuschauen.
Auf Bahnhöfen besteht ein Bettelverbot. Wenn ich die alte Frau vor dem Billettautomaten davor beschütze, werde ich danach persönlich bedroht. Du Arschloch hast hier gar nichts zu sagen. Pass auf, wenn du mir das nächste Mal den Rücken zukehrst.
Wenn ich mich jemandem in den Weg stelle, der durch die Unterführung rast, erhalte ich die Antwort: "Geh aus dem Weg du Pisser, ich habe es eilig und bremse nicht für Tiere."
Als ich auf dem Bahnsteig jemanden fragte, ob er wisse, dass hier Betteln verboten ist, schrie er mir ins Gesicht: "Pass auf, das nächste Mal, wenn ich dich sehe, schlage ich dich zu Tode."
Den Raucher, welchem ich die Raucherecke auf dem Bahnsteig zeigen wollte, meine zu mir: "Fick dich du fette Sau." Danach liess er die Kippe vor meine Füsse fallen.
Das sind nur einige harmlose Beispiele, die ich erlebt habe. Mitarbeitende im ÖV (ob im Zug oder am Bahnhof) könnten diese Liste sicher bis zum "Geht nicht mehr" verlängern.
Ich bin mir nicht mehr sicher
Ich bin hilfsbereit und wenn ich jemanden sehe, der bedrängt wird oder sich in Gefahr begibt, dann kann ich nicht schweigen. Auch wenn es nicht zu meinen direkten Aufgaben gehört, übernehme ich hier Verantwortung, die streng genommen nicht mir gehört.
Wenn ich meine zunehmende Unsicherheit aber äussere, wird mir gesagt, dass ich mich nicht in Gefahr begeben muss, bei einem Angriff das Weite suchen und eine Videosicherung veranlassen soll. Eine Anzeige wird von Amtes wegen erhoben. Sie nützt mir aber wenig, wenn ich dafür eine Grenzüberschreitung erleben muss.
Ich verschliesse meine Augen
Meine psychische und physische Gesundheit ist mir wichtig. Darum konzentriere ich mich auf meine klar definierten Aufgaben und lasse alles andere aussen vor. Ich greife nur noch ein, wenn eine Gefahrensituation umgehend bevorsteht und ich mir sicher bin, dass ich mich dadurch nicht selber gefährde. Wird dadurch die Sicherheit im ÖV erhöht?
Sicher nicht.
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